Passionszeit
Passionszeit
Der Name „Passionszeit“ für die Wochen vor dem Osterfest wird nicht nur positive Gefühle auslösen. Übersetzt heißt sie „Leidenszeit“ und wer will schon gerne von Leiden hören, geschweige denn es erleben. Unsere Lebenserfahrung weiß jedoch: Leiden gehört wohl dazu und lässt sich nicht oder nicht ganz vermeiden. Dabei werden wir zu unterscheiden haben zwischen dem, was wir durch andere Menschen oder bestimmte Umstände erleiden, und jenem Leid, das wir anderen zufügen und damit selber produzieren.
Letzteres könnten wir ja, so scheint es, vermeiden, wenn wir uns denn nur immer im Griff hätten und wirklich wollten. Und doch spüren wir in beiden Dimensionen, in der passiven und der aktiven: Ich kann mich nicht wirklich wehren, Leiden kommt über mich und durch mich. Da wirken Kräfte auf mich und in mir, die ich nicht einfach so steuern kann. Leicht wäre es, Gott für alles verantwortlich zu machen: Warum greift er nicht ein und verhindert Leiden? Er hätte uns Menschen doch stabiler und besser erschaffen können!
Manche ziehen daraus den Schluss: Einen gütigen Gott kann es nicht geben! Noch furchtbarer wäre die Konsequenz: Der Mensch folgt eben seinen Bedürfnissen und Trieben. Und wenn Menschen da aufeinandertreffen, setzt sich nun mal der Stärkere durch! Des einen Leid ist des anderen Freud, sagt nicht um-sonst das Sprichwort. Die Passionszeit zeigt uns einen anderen Weg. Es ist in der Tat ein Weg, nämlich der, den Jesus Christus wirklich gegangen ist beziehungsweise geführt wurde: durch furchtbarstes Leiden hindurch! Von ihm heißt es: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12,24)
In seinem tiefen Gottvertrauen und seiner Nächstenliebe hält Jesus es tatsächlich aus, geschmäht und dann am Kreuz hingerichtet zu werden. Nicht Gott gibt er die Schuld und sogar den Menschen nicht: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Weder Klage noch Anklage haben ihn bestimmt und eingenommen, sondern das, was Gott will. Welch eine starke Position, die den Blick für das Leben offenhält, das eigene und das fremde! Die sich nicht daran aufreibt, nur zu jammern oder sich ständig zu behaupten. Auf seinen Spuren wird es uns möglich, Unvermeidliches zu tragen, Vermeidliches zu lassen und in all dem das Gottvertrauen in uns wirken zu lassen.
Pfarrer Martin Fiedler,
Gemeinde Schlewecke-Göttingerode