Altjahrespredigt 2012
Liebe Gemeinde,
eigentlich ist es ja nur ein Tag wie jeder andere im Laufe der immer weiter fließenden Zeit. Und trotzdem nehmen wir heute viel bewusster wahr als sonst, was gewesen ist und was kommen wird oder kommen möge. Besonders und auch besonders laut feiern wir die Schwelle, auf der wir jetzt stehen.
Wir halten inne, ziehen Bilanz und entdecken wie auf einem Gemälde das Auf und Ab, das Lieben und Leiden, die Freude und Trauer. Für uns selbst tun wir das, ganz persönlich. Auch für unsere Kirchengemeinde können wir so zurückschauen.
So manches uns auch hier im Gottesdienst vertraute Gesicht haben wir für immer verloren. 18 Menschen aus unserer Gemeinde sind gestorben, manche sehr plötzlich. Mit noch weiteren Verstorbenen aus anderen Gemeinden haben wir sie im Glauben an den ewigen Gott bestattet und sind gewiss, dass sie nun schauen, was wir noch nicht sehen, nur erahnen dürfen.
3 kleine Kinder und 3 Jugendliche haben wir getauft und sie im Glauben der Eltern, Paten und Gemeinde Gott anvertraut. Und 35 Jugendliche haben sich zu ihrem eigenen Glauben an Gott bekannt in ihrer Konfirmation, die größte Gruppe in der ganzen Stadt.
4 Ehepaare haben hier auch kirchlich geheiratet und so ihren Bund ausdrücklich unter Gottes Segen gestellt. 5 Menschen haben ihren Weg zurück in die Kirche gefunden und sind jetzt wieder unsere Gemeindemitglieder. 7 allerdings haben uns durch Austritt verlassen.
Am Ostermorgen waren so viele wie noch nie zuvor in der Schlewecker Kirche, um sich ihres Gottvertrauens zu vergewissern. Die neue Konfirmandenunterrichtsform erstmals nach dem HOLK-Modell war unglaublich aufwändig, aber durchaus lohnenswert. Das Erntedankfest in der Scheune war ein Erlebnis und Glanzlicht, ebenso wie dann der
Adventsmarkt.
Kindergottesdienst wird nicht mehr angenommen, es bleiben die Kinder weg, obwohl ein gutes Leitungsteam da ist. Krippenspiel mit Müh und Not zustande gekommen in Schlewecke, in Göttingerode nicht und dort feierten so wenig Menschen wie nie zuvor Heilig Abend und am 1. Weihnachtstag Gottesdienst.
Wir merken: auch als Gemeinde schreiten wir, wie es bei jedem Menschen ist, auf und ab durch ein Jahr. Und wie jeder von uns müssen auch wir als Gemeinde loslassen, was gewesen ist. Als christliche Gemeinde ist es uns dabei möglich, dieses nicht verbittert und resigniert zu tun. Wir können – für uns privat und für uns als Gemeinde – das, was uns gelungen und was uns misslungen ist, Gottes Gnade anbefehlen.
Und wir tun das nicht, um elegant und bequem wegzudrücken, was wir falsch oder nicht gut genug gemacht haben. Sondern gerade weil wir glauben und wissen, dass wir nicht perfekt sind und nur durch Gottes Güte leben und handeln, darum halten wir ihm alles hin.
Nicht nur, aber auch am Ende eines Jahres ist dafür ein ausdrücklicher Ort. Möge Gott segnen, was durch uns an Gutem geschehen ist, und möge er zum Besten wandeln, was uns missraten ist. Schuld werden wir nicht los, indem wir sie abstreiten oder unter den Teppich kehren. Und Erfolge behalten wir nicht, wenn sie nur zu unserem eigenen Ruhm erstrahlen sollen. Heute am Altjahrsabend hören wir dazu einen Predigttext aus dem 8. Kapitel des Johannesevangeliums:
Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.
Es fällt auf: Jesus spricht ausdrücklich zu denen, die ihm schon vertrauen. Seine Worte sind also für den inneren Kreis bestimmt, nicht für Leute, die ohnehin nichts von ihm wissen wollen. Doch auch die Gläubigen sind verwirrt. Frei? Als jüdisches Volk sind wir doch ohnehin von Gott auserwählt und ausgesondert und höchstens politisch, aber nie im Glauben anderen untertan. Wovon sollten wir denn befreit werden, wenn nicht von den Römern?
Freiheit von etwas. Genau um diese Frage geht es auch heute noch. Frei sein heißt gerade für uns moderne aufgeklärte Menschen: ich kann und darf über mich selbst bestimmen, mein Leben selbst in die Hand nehmen, brauche mir keine Vorschriften machen zu lassen.
VISA – die Freiheit nehm’ ich mir – tönt die Werbung stellvertretend für dieses Lebensgefühl, das gar nicht neu, sondern uralt ist.
Und es ist ja auch nicht verkehrt, aber es greift zu kurz. Es geht ja um wirkliche Freiheit. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.
Und das ist nicht von etwas frei zu sein, sondern zu etwas frei zu sein.
In diesem Fall: für Gott und das Gute zu leben. Sich von Gott sagen lassen, wie Gutes entsteht und dem dann nachstreben. Das ist keine äußere, sondern eine innere Freiheit.
In dieser Freiheit sehen wir ein, dass wir nie ganz ohne Sünde sein werden und lernen doch, damit zu leben und die Sünde weniger über uns herrschen zu lassen. Und wir sehen: trotz aller politischen und geistigen Unabhängigkeit sind wir im Grunde gefangen und beherrscht von unseren Ängsten und Sorgen, von unseren Süchten und Eitelkeiten. Mehr noch: ohne Gott sind wir Knechte unserer eigenen Taten und Untaten. Da bleiben wir auf unserer Schuld sitzen.
Diesem Teufelskreis entrinnen wir nur, wenn wir uns frei machen lassen von dem Gedanken, wir hätten alles allein im Griff und bräuchten uns von niemandem sagen zu lassen, wo es zum Guten geht. Und wenn wir zugleich gewiss sind, dass Gott ein gnädiger Gott ist und um Jesu willen unseren Glauben ansieht und nicht unsere Schuld.
Darum können wir Gott unser persönliches und gemeindliches Jahr 2012 zurückgeben mit all dem, was uns gut und was uns nicht gut gelungen ist. Und wir können eben auch in seine Hände legen, dankbar, was uns gut getan hat, und bittend, vielleicht auch klagend, was uns zugesetzt hat. Weil wir wissen, dass er alles mitträgt.
So möge Gott uns innerlich frei machen von dem, was uns noch festhält und doch schon zeitlich vergangen ist. Und genauso möge er uns frei machen zu tun, was gut ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.